23.01.: Wenn Spanier beim Logopäden Kölsch lernen
Deutsche Sprache, schwere Sprache – das gilt umso mehr, wenn Ausländer einen Dialekt wie Kölsch lernen müssen.„Dat CH is schon schön am werden tun“, lobt die Therapeutin in breitem Singsang ihre beiden Patienten aus Spanien und Griechenland. – „Was sprisst Sie für eine Sprach?“, fragt entgeistert der Spanier den Griechen.
Für Antworten bleibt keine Zeit, der „Vokalkorken Version Schäl Sick“ will eingesetzt sein – um die kölschen Speziallaute ä und ö zu trainieren. Und das alles auf einem Sitzball, besser gesagt: dem „atmungsstabilisierenden Flummy“. Aber erst als der „Spezialtrank Kölsch zur Retardierung der Sprachschnelligkeit“ die Zunge geschmeidig macht, ist das mit der kölschen Mundart plötzlich kein Problem mehr.
Auch im fünften Jahr wird die Immisitzung 2014, Kölns internationalste Karnevalssitzung, ihrem Namen gerecht: Imis – so werden in Köln die Zugezogenen genannt – und Immigranten stehen hier auf der Bühne: Schauspieler, Musiker, Tänzer und Puppenspieler aus Brasilien, Kasachsten, den USA und anderen Ländern. Sie feiern mit ihrer Bühnenshow Karneval auf eigene Art: Mit Live-Musik aus aller Welt. Und mit Sketchen, die zur Sprache bringen, was die Schauspieler im Alltag berührt.
Neue Gesichter auf der Bühne
Rund 6000 Zuschauer erwarten die Immis dieses Jahr, gefeiert wird an 19 Abenden im Bürgerhaus Stollwerck in der Kölner Südstadt. Noch sind nicht alle Abende ausverkauft. Jecke aus Köln und aller Welt können Karten beim Ticketdienstleister KölnTicket kaufen (Preis: 26,80 Euro, ermäßigt 22 Euro).
Das weit über zweieinhalbstündige Programm ist eine rasante Abfolge von Sketchen, Songs und Slapstik. Anlass für Gags liefern diesmal Prunk-Bischof Tebartz-van Eltz und religiöse Fundamentalisten, absurde Vereinssatzungen und Kölschkurse für Immis. Sogar Hitler hat einen kurzen Gastauftritt („Ich bin wieder da“).
Doch von vorne: Die Immisitzung startet mit einer neuen Moderatorin in ihr fünftes Jahr – in Form der aus Brasilien stammenden Schauspielerin Myriam Chebabi. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern der Sitzung und trägt nun den opulenten Titel "Ihre Leiblichkeit, ImmiMymmi I., die brasilianische Jungfrau". "Brasilianisch, jung und Frau – es gibt nichts Besseres", freut sich Chebabi.
Vier Jahre lang hatte die Schauspielerin Katja Solange Wiesner als Präsidentin durch die Immisitzung geführt. Nun hat sie die Federnmütze abgegeben und ein Engagement beim Kölner Hänneschen-Theater aufgenommen.
Auch im Immi-Ensemble gibt es neue Gesichter: Francisco Rodriguez, geboren in Spanien, der schon auf vielen Kabarett-, Theater und Musical-Bühnen zwischen Köln, Berlin, München präsent war. Neu dabei ist auch Alice Eßer. Die in Aachen aufgewachsene und in Zürich ausgebildete Schauspielerin und Sängerin belebt die Bühne mit ihrer starken Gesangsstimme, reichlich Komik-Talent und breitem rheinischen Dialekt. Zurück zur Immisitzung kommt dieses Jahr Evgenia Tarutin: Die Kölner Schauspielerin und Tänzerin, geboren in Kasachstan, stand schon in der ersten Session auf der Bühne.
Selbstmordattentäter auf dem Nippeser Wochenmarkt
Überwachung, NSA, Snowden im Exil - wie erklärt ein Vater die verworrenste Affäre der vergangenen Monate nur seiner Tochter? Mit einem Märchen natürlich, mit Prinzessin Lillifee. Und zusammen mit der Fantasie der Tochter wird aus dem schwarzen Präsidenten der USA Darth Vader, aus Putin ein Bär und aus Merkel Pupsi, das Ferkel. Und das will Snowden nicht nach Ferkelland lassen. „Warum nicht?“, fragt die Tochter. Doch da ist auch der Vater ratlos. Nicht alle Märchen haben ein gutes Ende.
„Auf dem Nippeser Wochenmarkt. Mit einem Sprengstoffgürtel. Ja, schön. Wo ist das Problem?“ Bei Fundi-Support, der neuen Service-Hotline für Fundamentalisten, landen nur Anrufer mit ganz speziellen Anliegen. Blöd nur, wenn alle am Nippeser Wochenmarkt ihre eigenen Pläne haben. Als dann auch noch ein schwuler Selbstmordattentäter anruft, ist die Verwirrung perfekt.
Bei all dem explosiven Stoff ist es gut, dass sich die „Cherry-Lady“ auf der Bühne einfindet und für Spenden und Menschlichkeit wirbt. Allerdings leidet sie an Versprecheritis, so dass sie „gegen Rinderarbeit in Indien und Außengeländer-Feindlichkeit“ eintritt. Nicht die Spenden, aber immerhin die Lacher des Publikums sind ihr sicher.
Gleich darauf landet Sergio, nach eigener Ansicht ein „gutaussehender homosexueller Männermagnet aus der Innenstadt“, versehentlich in einem Döner-Laden in Köln-Chorweiler. „Sie werden mich alle lynchen“, fürchtet er, „wenn sie herausfinden, dass ich homosexuell bin.“ Aber die Imbiss-Besucher zeigen sich reichlich desinteressiert. Die Szene endet als Musical, mit einer hundertprozentig schwulen Cover-Version des Bonnie-Tyler-Hits „Total Eclipse of the Heart“.
„Der Papst mahnt zur Bescheidenheit, zum Verzicht. So soll es sein!“ Prunkbischof Tebartz-van Eltz will sich bessern. Wäre da nicht seine dunkle zweite Persönlichkeit, die verdächtig nach Gollum klingt, dem schizophrenen Hobbit aus „Herr der Ringe“. „Nein“, zischt der Gollum-Eltz, „wir wollen ihn, wir brauchen ihn, wir müssen ihn haben - den Sitz!“
Die Immis schauen noch bei einem Treffen der Anonymen Amerikaner vorbei (deren Teilnehmer sich heimlich ihre Kaugummi-Sucht beichten), lassen die Stadt Köln in einer Fernsehshow ihre Herzstadt wählen (Wolgograd – „zum Kölsch passt am besten ein kurzer Klarer“) und geben Einblick in eine Vereinssitzung, die an Formalitäten zu scheitern droht („Lesen Sie das Protokoll von 1872, dann kennen sie unsere Abstimmungsmodus“).
Zwischendurch melden sich immer wieder zwei Domgeister aus ihrer Loge zu Wort, der Dicke und der Franzose, und machen sich so ihre Gedanken zum Zeitgeschichten. Etwa den Bundestagswahlen – und den Handgesten gewisser Spitzenpolitiker, die dabei im Gedächtnis blieben. „Ihr Deutschen hattet doch mal wieder die Wahl...zwischen was eigentlich?“ – „Janz einfach: Zwischen Stinkefinger... – und Raute.“
Und dann singt der Dicke noch über seinen „Ihrefeld Draum“ – eine melancholische Hommage an frühere Zeiten in Kölns Szenestadtteil Ehrenfeld. „Ming eetster Kuss / wor op em Mont Klamott (Berg aus Schutt in Ehrenfeld)/ ming eetstes Kölsch / drank ich om Subbelroth (bekannteste Straße, die Neu-Ehrenfeld von Alt Ehrenfeld trennt)... „Das Original von Ewan McGoll "Dirty old Town" (von 1949) ist ein Song über eine Arbeiterstadt in England“, sagt Puppenspieler Andreas List. „Und Ehrenfeld war in meiner Jugend auch der Malocher-Stadtteil von Köln.“
Balkan-Brass und griechischer Rembetiko
Natürlich gibt es keine Immisitzung ohne Live-Musik – und die Band hat mit Christian Hülsmann einen erstklassigen neuen Schlagzeuger und mit dem Griechen Epaminondas Ladas einen Musiker gewonnen, der nicht nur Gitarre spielt, sondern auch die griechische Laute, Bouzouki genannt.
Damit wird der Immi-Sound noch vielseitiger: Das Motto-Lied „Jede Jeck“ etwa erhält einen Balkan-Brass-Klang – und von da an geht die Immi-Band die nächsten drei Stunden gekonnt auf eine wilde Tour quer durch die Genres, von Reggae über arabische Musik bis zum Rembetiko, dem Blues der Griechen, der vor allem mit Bouzouki und Akkordeon gespielt wird.
Zu Beginn der zweiten Hälfte spielen die Musiker das Instrumentalstück „Baile“, eine temporeiche Komposition, die das deutsch-portugiesische Bandmitglied Rui Lobo (Keybord, Akkordeon) zusammen mit seinen Kollegen des Kölner Bandprojekts BXP Somsistema geschrieben hat.
Sogar der Deutsche Schlager fehlt nicht – in der Cover-Version sind Evgenia Tarutin allerdings aus der Sicht von Einwanderern, die auf die deutsche Staatsbürgerschaft warten: Aus „Ein Stern... der Deinen Namen trägt“ des österreichischen Sängers Nikolaus Presnik wird „Ein Pass... der meinen Namen trägt“.
Der Pass aber ist nur wenigen vergönnt. Und genau darüber singt Myriam Chebabi als die „Bademeisterin von Lampedusa“: „Wir haben Angst vorm Schwarzen Mann – was ein Glück, dass er nicht schwimmen kann.“
Halb Schwabe, halb Türke, singt Bülent Yilmaz in „Blöd Sein“ – eine Cover-Version des letztjährigen Chart-Stürmers Blurred Lines vom US-amerikanischen R&B-Sänger Robin Thicke – welche Fehler ein Immi begehen kann, der zum ersten Mal in Köln Karneval feiert.
Die Girlie-Band „Lack-Fööss“ kontempliert die Freizügigkeit der Tollen Tage („Zu Hause bin ich eine kleine graue Maus, doch einmal im Jahr seh’ ich gerne nuttig aus“). Und die „Lady’s Night“ (70er-Hit von Kool and the Gang) wird auf der Immi-Bühne zum „Penis-Neid“.
Nach drei Stunden Immisitzung stellt sich schließlich heraus: Die NSA hat alles abgehört. Der Fall ist klar: „Die Immisitzung ist eine Bande von Terroristen.“ Aber wenn sie einen Anschlag plant – dann allenfalls auf die Lachmuskeln.